Als klar wurde, dass diese Grube sehr interessante Funde liefert, wurde
die Grabungsfläche vergrößert. Nahe der westlichen Grabungswand
fand sich eine größere Anzahl kleinerer Knochen. Diese lagen
durch umliegende Kalksteinbrocken begrenzt nahe zusammen und gehörten
offensichtlich zu einem Individuum.
Dies ist eine Seltenheit, denn bisher ist neben dem Fund
aus der Dechenhöhle nur ein Höhlenbären"baby"-Skelett in
Deutschland bekannt. Vergleichbare Nachweise aus dem alpinen Raum wurden
von ABEL & KYRLE (1931) und RABEDER (1991) beschrieben.
Erläuterung der einzelnen Schichten:
Schicht 9 - Kalkstein (fester Fels)
Schicht 8 - Die z.T. konglomeratische Basisschicht setzt sich
aus gerundeten Ton- / Siltstein- sowie zwischengeschalteten Sandsteingeröllen
- wohl aus benachbarten Einzugsgebieten des Grüner Baches und seiner
Zuflüsse - und Holzresten zusammen. Sie dürfte durch einen Höhlenbach
abgelagert worden sein.
Schicht 6(/7) - Die konkretionär teilzementierte Schicht
6 (Schicht 7 wurde später Schicht 6 zugerechnet) zeichnet sich durch
eine sehr schlechte Sortierung mit Korngrößen zwischen der Ton-
und Blockfraktion aus, so daß es sich um Ablagerungen allochthoner
höherviskoser Massenströme (sog. Debrisflows) handeln dürfte.
Die Ablagerungen enthalten Gerölle aus umkrustetem Massenkalk (Wirtsgestein
der Höhle) und Sandstein aber auch Bruchstücke von stark korrodierten
Speläothemen (= Sinter = Tropfstein). Diese Tropfsteine representieren
eine oder mehrere Tropfsteingenerationen (Si3). Die ältesten Tropfsteine
der Dechenhöhle aus dieser Schicht entstanden nach neusten Studien
vor mehr als 400.000 Jahren.
Schicht 5 - Die Schichten 6 und 5 unterscheiden sich durch einen
Farbwechsel von grau nach braun. Zwischen den beiden Schichten konnten
zudem in der ca. 40 cm mächtigen "Knochenlage" (vgl. SOERGEL 1940),
die sich in einer Tiefe von 1,1 m bis 1,5 m erstreckt, über 1700 bestimmbare
Knochen- und Zahnreste vom klimatisch indifferenten Höhlenbären
(Ursus spelaeus ROSENMÜLLER 1794) geborgen werden. Die obere Debrisflow-Schicht
5 hat offensichtlich einen älteren versinterten Höhlenboden zerstört.
Über Zahnfunde von Höhlenbären sind nach RABEDER (1991,
1999) zumindest relative Altersangaben möglich, da sich die Molaren
(Backenzähne) im Verlauf der Evolutionsentwicklung vom Alles- zum
Pflanzenfresser signifikant verändert haben (sog. Molarisierung).
Die bislang in den Schichten S 5/6 gefundenen P4-Molaren sind einheitlich
ausgebildet. Die Ober- und Unterkiefermolaren können anhand ihrer
Gestalt verschiedenen Morphotypen zugeordnet werden. Die Unterkiefer-P4
der Dechenhöhlenfunde sind dem Morphotyp C1 und die Oberkiefer-P4
dem Typ A zuzurechnen. Sie deuten eine niedrige Evolutionshöhe der
Höhlenbären an. Nach RABEDER (1991) entsprechen die Maße
in Relation zu verschiedenen absoluten Alterdaten aus Höhlen einem
mittelpleistozänen Alter von 150.000 - 200.000 Jahren.
Viele Massenkalkpartikel, die Höhlenwand und der Höhlenboden
sind im Bereich der Schichten 8 - 5 von schwarz/weiß-laminierten
mm- bis cm-dicken Krusten überzogen. Röntgendiffraktometrische
Untersuchungen legen ein apatitähnliches Phosphat-Mineral (? Hydroapatit)
nahe.
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Blick in die ca. 2 m tiefe Grabung. Entnahme von Höhlenlehm-Proben zur Pollenuntersuchung. |
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Wahrscheinlich handelt es sich um lateralsekretionäre Bildungen,
indem Knochensubstanz zumindest partiell gelöst worden ist, um zur
Ausscheidung von (?) Hydroapatit an Kalkpartikeln sowie der Höhlenwand
zu führen. Als weitere Phosphorquellen sind auch Bären- und Fledermausexkremente
oder -kadaver denkbar.
Die konkretionären Verhärtungen des Höhlenlehms in den
Schichten 6 und 5 haben sich nach der Ablagerung der Schichten gebildet,
sie nehmen zur Basis hin an Größe zu.
Die Schicht 5 enthält nach Herrn Dr. Stritzke (Krefeld) eine eher
warmzeitliche Pollenvergesellschaftung: Kiefer - ca. 70%; Hainbuche, Ulme,
Birke und Tanne - ca. 30%; 1 Sumpfzypressenpolle. In anderen Proben des
Profils kommen vereinzelt palmenähnliche Pollen vor, die wohl umgelagertes
Tertiärmaterial darstellen.
Schichten 4 und 3 - Im oberen Abschnitt des Profils dominieren
feinklastische, vorwiegend siltige Lockersedimente. Es lassen sich 3 verfüllte
Rinnen rekonstruieren, so daß wir Verfüllung und Rinnenverlagerung
auf Aktivitäten von Überflutungen durch temporäre Bäche
und Einschwemmung von Löß zurückführen. Die gelbbraune
homogene Schicht 4 weist große Mächtigkeitsunterschiede auf
und ist teilweise nur als cm-dünne Lage ausgebildet. Sie wird durch
eine zentimeterdünne konkretionäre Schicht 3 von der roten Schicht
2 getrennt. Die Schichten enthalten reichlich Knochen von Kleinsäugern.
Diese Knochenfunde werden z. Zt. bearbeitet. U. a. finden sich zahlreiche
Knochen von Fledermäusen.
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Herausgeschlämmte Knochen von Fledermäusen aus der Schicht 4, darunter einige Kieferfragmente mit Zähnen. |
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Sinterlage Si 2 - Am Top der Schicht 4 befindet sich die Sinterlage
Si 2, die mit einem massigen, 1,8 m hohen Stalagmiten 2 m südlich
der Grabung korrespondiert. Der ehemalige Sinterboden mit Sinterbecken
ist zerbrochen und verkippt. Bodensinterproben im Bereich der Schicht Si
2 haben TIMS-U/Th-Alter von 205.000 bis 174.000 Jahren ergeben. Die Sinterlage
Si 2 korrespondiert augenscheinlich mit der konkretionären Schicht
3 und stellt einen alten Höhlenboden dar.
Schichten 1 und 2 - Die Schichten 2 und 1 sind jünger
als etwa 174.000 Jahre und unterscheiden sich u. a. durch ihre Farbe. Während
Schicht 2 rotbraun ausgebildet ist, weist Schicht 1 eine graubraune Farbe
auf. Die jüngste Rinne mit Schicht 1 tritt nur nahe der Höhlenwand
auf. Sie ist feinlaminiert geschichtet und enthält zentimetergroße
konkretionsartige Verfestigungen. Der siltige Löß enthält
eine Landschneckenfauna. Die Arten Succinea oblonga DRAPARNAUD 1801,
Columnella columnella MARTENS 1830, Pupilla muscorum LINNÈ
1758, Vitrinobrachium breve? FERUSSAC 1821 und Oxychilus sp.
(juv.) wurden von Herrn Prof. Strauch (Münster) bestimmt und repräsentieren
in ihrer Vergesellschaftung u. a. nach MANIA (1973) eine weichselzeitliche
hoch- bis spätglaziale Klimaperiode. Bei diesem schneckenführenden
Löß handelt es sich offensichtlich um ein Reliktvorkommen, denn
außerhalb der Dechenhöhle sind zwar Löss-Ablagerungen in
der näheren Umgebung bekannt (v. KAMP 1972), aber ohne entsprechende
Gastropodenfauna. Das Alter der roten Schicht 2 muß also jünger
als ~ 170.000 und älter als ~ 25.000 Jahre sein.
Sinterlage Si 1 - Das Profil der Forschungsgrabung wird von einer
lokal als Sinterbecken ausgebildeten Tropfsteinschicht Si 1 mit gesunkenen
Schwimmkrusten ("flakes"-Strukturen) und kleinen Stalagmiten abgeschlossen.
Das Alter dieser Tropfsteinlage ist vermutlich spätglazial - holozän
(< 14.000 Jahre).
Zusammenfassung und Interpretation der Ereignisse
Der erste Höhlenlehm gelangte wahrscheinlich bereits in die Höhle,
als diese noch in einer vadosen Phase von einem Höhlenbach durchflossen
wurde. Nach dem Trockenfallen des Höhlenganges suchten Tiere die Höhle
auf. Die zahlreichen Knochen von Höhlenbären sprechen für
eine Nutzung der Dechenhöhle als Winterquartier. Es kommen überwiegend
weibliche und viele juvenile Höhlenbären vor. Durch den Fund
des Höhlenbären - Neugeborenen und vieler Milchzähne kann
davon ausgegangen werden, dass die Höhlenbären am Ende des Winterschlafs
hier ihre Jungen zur Welt gebracht haben und auch in späteren Wintern
mit ihrem Nachwuchs die Höhle aufgesucht haben. Das Alter der darüber
liegenden, also jüngeren Tropfsteinlagen weist auf einen Zeitraum
vor mehr als 200.000 Jahren hin. Höhlenlehm floss oder rutschte als
"Schlammstrom" von außen in die Höhle und füllte sie bis
zur Hälfte des Gangprofiles auf. Vermutlich in der Kaltzeit vor ca.
250.000 Jahren wurde Löss in die Höhle geschwemmt und bildete
z. T. eine Rinne, in die das Material bei nachlassender Fließgeschwindigkeit
wieder abgelagert wurde. In dieser Schicht findet sich eine reiche Kleinsäugerfauna.
Auf diesem Lehm und Löss stehen viele der großen Tropfsteingebilde
in der Dechenhöhle, die in einer Warmzeit vor etwa 200.000 Jahren
entstanden.
In den nachfolgenden Kaltzeiten flossen kurzfristig erneut Bäche
durch die Dechenhöhle. Diese schnitten sich in den Lehm ein und verfüllten
die Rinnen anschließend wieder mit siltigem Material (Schwemmlöss),
in dem Kleinsäuger-Knochen und eiszeitliche Schnecken enthalten sind.
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Um die feineren Struckturen im Höhlenlehm besser erkennen zu können
und um die Fundstelle des Höhlenbären - Neugeborenen zu erhalten, wurde ein sog. Sediment - Transfer - Präparat (STP)
durch Lehrer und Schüler der Fachschule für präparationstechnische Assistenten in Bochum angefertigt. Das Sediment - Transfer - Präparat befindet sich nun in der Ausstellung
des Deutschen Höhlenmuseums Iserlohn.
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Entnahme eines Sediment - Transfer - Präparates |
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Brückenbau im Januar 2001 |
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Die Grabungsfläche wurde im Januar 2001 mit dem Ziel erweitert, dass der gesamte Gangquerschnitt freigelegt würde.
Dazu musste zunächst eine Brücke für die Besucher errichtet werden.
Heute können die Besucher von der Brücke aus in die Grube
hinabschauen und erhalten einen Einblick in die über 400.000 Jahre
alten Bodenschichten der Dechenhöhle. Über dem freigelegten Felsboden
lassen sich die unterschiedlich gefärbten Höhlenlehmschichten
gut erkennen. Mehrere Höhlenbärenknochen wurden in ihrer Fundposition
belassen. Tafeln an den einzelnen Lehmschichten sowie eine Erläuterungstafel
wurden für die Besucher angebracht.
Das Profil Dechenhöhle - Königshalle ist ein hervorragendes
und im nordwestdeutschen Raum einzigartiges Anschauungsobjekt für
wissenschaftliche Studenten und ermöglicht auch einem breiten Bevölkerungskreis
einen fazinierenden Einblick in die letzten 400.000 Jahre Erdgeschichte
des Eiszeitalters.
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Aktueller Stand der Grabung Oktober 2003. Blick von der Brücke. |
Danksagung:
Die Obere Denkmalbehörde in Altena gestattete die Ausgrabung in
dem eingetragenen Bodendenkmal.
Für logistische Unterstützung sowie zahlreiche Diskussionen
danken wir besonders E. Hammerschmidt von der Betriebsführung der
Dechenhöhle sowie den Mitgliedern der Speläogruppe Letmathe e.
V.. Die TIMS-U/Th-Datierungen wurden dankenswerterweise von Prof. A. Mangini
(Forschungsstelle Radiometrie, Heidelberger Akademie der Wissenschaften)
ermöglicht. Für die Pollenuntersuchungen sind wir Dr. R. Stritzke
(Geol. Dienst NRW/Krefeld) zu Dank verpflichtet. Weiterhin möchten
wir Prof. F. Strauch (Institut für Geologie und Paläontologie,
Univ. Münster) für die Bestimmung der kaltzeitlichen Landschnecken
danken.
Literatur
ABEL, O. & KYRLE, G. (1931): Die Drachenhöhle bei Mixnitz.-
Speläologische Monographien v. Speläol. Inst. b. Bundesmin. f.
Land u. Forstwirtschaft, Band VII, VIII, 953 S.; Wien (Verlag österr.
Staatsdruckerei).
DREYER, R., GRAW, R., NIGGEMANN, S. & RICHTER, D. K. (2000): Forschungsgrabung
"Dechenhöhle": Erste Ergebnisse.- Bochumer geol. u. geotechn. Arb.
55: 169-178; Bochum.
HAMMERSCHMIDT, E. (1994): Bodenfunde in der Dechenhöhle.- Mitt.
& Ber. Speläogr. Letmathe, 9 (1-4): 20-22; Iserlohn.
HAMMERSCHMIDT, E., NIGGEMANN, S., GREBE, W., OELZE, R., BRIX, M., RICHTER,
D. K. (1995): Höhlen in Iserlohn.- Schriften zur Karst- und Höhlenkunde
in Westfalen, 1, 153 S.; Iserlohn.
MANIA, D. (1973): Paläoökologie, Faunenentwicklung und Stratigraphie
des Eiszeitalters im mittleren Elbe-Saalegebiet auf Grund von Molluskengesellschaften.-
Geologie, 21, Beiheft 78/79: 1-175; Berlin.
NIGGEMANN, S. (1996): Sedimentologische Untersuchungen zur Entwicklung
der Höhlensysteme im Grünerbachtal bei Iserlohn (Sauerland, NRW).-
Unveröff. Diplomarbeit, Geol. Institut, Univ.-Bochum, 80 S.; Bochum.
NIGGEMANN, S. (1997): Origin and development of caves within the devonian
massive limestones of the Rheinisches Schiefergebirge (Germany).- Proc.
12th. Int. Congress of Speleology: 151-154; La-Chaux-de-Fonds.
NIGGEMANN, S. (1998): Geologische Kartierung des Sedimentinventars der
Dechenhöhle.- Speläolog. Jb. Ver. f. Höhlenk. Westf., 1997:
23-60; Iserlohn.
NIGGEMANN, S. (2000): Klimabezogene Untersuchungen an spät- und
postglazialen Stalagmiten aus Massen-kalkhöhlen des Sauerlandes.-
Bochumer geol. u. geotechn. Arb., 55: 1-129; Bochum.
NIGGEMANN, S., FRANK, N., MANGINI, A. RICHTER, D. K. & WURTH, G.
(2000): Holozäne Stalagmiten des Sauerlandes als Klimaarchive.- Mitt.
d. Verbandes d. dt. Höhlen- u. Karstforsch., 46 (1/2): 84-90; München.
PIELSTICKER, K. H. (2000): Höhlen und Permafrost.- Bochumer geol.
u. geotechn. Arb. 55: 156-233; Bochum.
RABEDER, G. (1991): Die Höhlenbären der Conturines.-
124 S.; Bozen (Verlagsanstalt Athesia).
RABEDER, G. (1999): Die Evolution des Höhlenbärengebisses.-
Mitt. Quartärkomm., Österr. Akad. Wiss., 11, 102 S. ; Wien.
SOERGEL, W. (1940): Das Massenvorkommen des Höhlenbären.-
112 S.; Jena (Gustav Fischer Verlag).